28.06.2009

Langeweile?

Die gesellschaftliche Funktion der Fähigkeit, allein zu sein, soll durch ein Bild illustriert werden, das die Kulturgeschichte des Abendlandes nachhaltig geprägt hat: Es ist Melencolica 1 von Albrecht Dürer. Zahllose Gerätschaften liegen, wie achtlos fallengelassen, auf dem Boden. Es sind Werkzeuge der instrumentellen Vernunft, die dazu dienen, eine Welt "more gemometrico" zu bauen, die der menschlichen Kontrolle unterliegt. Zwischen ihnen sitzt die geflügete Figur, ein Baumeister, der sein Bauen unterbrochen hat. [..] Das Bild zeigt die geflügete Figur in einer Entscheidungssituation:

Sie besinnt sich, denkt nach. Nicht außer sich, sondern bei sich. Ohne Depression, aber in einer melancholischen Haltung, aus der sie heraus ihren Ehrgeiz besänftigt: mit ihrem Turm nicht immer höher hinauszuwollen, sondern sich mit einem nicht perfektem Werk und damit auch mit den Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu bescheiden. [...]

Für manche mag das wie Langeweile erscheinen: "Wer sich völlig gegen Lageweile verschanzt, verschanzt sich auch gegen sich selbst. Den kräftigsten Lebenstrunk aus dem eigenen innersten Born wird er nie zu trinken bekommen.", schrieb Friedrich Nietzsche. Damit deutete er die positive Funktion der Langeweile an: Sie kann Menschen mit ihren - wenn auch unterschiedlich ausgeprägten - Interessen wieder in Verbindung bringen. So verstanden, ist die Langeweile ein Durchgangsgefühl, eine Inkubationszeit - obwohl sie sich manchmal anfühlt, als würde sie nie vergehen.

Und wie kann eine innere Aktivierung glücken? "Durch Leere" sagt die Psychologin Ulrike Zöllner, die an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Zürich lehrt. "Nichts planen, nichts suchen oder wollen, nichts hoffen oder wünschen, nichts fürchten oder vermeiden - dann kristallisieren sich Interessen und Haltungen heraus. Sie entwickeln sich aus Gednaken, Gefühlen und Fantasien, die nicht forciert werden."

"Psychologie Heute" -  März 2009

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