17.06.2012

Es geht uns gut


Zur allgemeinen Verblüffung geht es der Menschheit und ihrer Umwelt nicht von Jahr zu Jahr schlechter, sondern immer besser. In den entwickelten Ländern ist die Luft heute sauberer als früher, die Flüsse sind reiner, die Lebenserwartung steigt, die Kindersterblichkeit geht zurück. Mehr als sieben Milliarden Menschen gibt es auf der Erde, fast zehnmal so viele wie zu Malthus' Zeiten. Viele von ihnen leben in äußerst bescheidenen, einige in schrecklichen Verhältnissen. Doch der Mehrheit geht es gut, jedenfalls im Vergleich zu früheren Zeiten.[...]
Simon hatte volles Vertrauen in die Menschen. Er ging davon aus, dass steigende Preise die Phantasie und Kreativität anregen. Wird eine Ressource knapp, so seine Überzeugung, dann steigt zunächst ihr Preis. Verbraucher und Unternehmen suchen daraufhin nach Verfahren und Alternativen, um die Knappheit zu überwinden. Der Wettbewerb wird zum "Entdeckungsverfahren", wie es Friedrich August von Hayek nannte. Der Eiffelturm in Paris ließe sich heute problemlos mit 2000 Tonnen Stahl statt mit 7000 Tonnen bauen. Vor hundert Jahren produzierte ein Bauer gerade genug Lebensmittel, um vier Menschen zu ernähren. Heute erntet ein einziger moderner Mähdrescher pro Tag so viel Weizen, dass es für eine halbe Million Brote reicht. Es sind seriöse Wissenschaftler wie der Brite Matt Ridley, die sagen, dass ein modernes Auto bei voller Fahrt heute weniger Schadstoffe produziert als 1970 ein geparktes Auto durch die Lecks in seinen Leitungen.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Simon Kuznets hat Mitte des vergangenen Jahrhunderts untersucht, wie sich das Bruttoinlandsprodukt auf die Einkommensverteilung auswirkt. Später haben andere Ökonomen seine Methode auf die Umweltverschmutzung übertragen. Es kam heraus, dass mit steigendem Wohlstand zunächst die Umweltverschmutzung zunimmt, ein Trend, der sich in Schwellenländern wie China und Indien gerade gut beobachten lässt. Die Menschen dort sind derzeit noch mehr an Kühlschränken interessiert als an der Frage, welchen Schaden Kühlmittel in der Atmosphäre anrichten.
Doch sobald eine Gesellschaft ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht, ändert sich die Situation. Die Menschen sehen die verdreckten Flüsse, die verstopften Straßen und die verpestete Luft nun als Ärgernis an. Sie sehnen sich nach mehr Lebensqualität. Umweltschutz rückt ins Zentrum der Politik. [...]
Es ist nicht realitätsfremd, den Wachstumsdrang der Schwellen- und Entwicklungsländer dämpfen zu wollen, sondern auch umweltfeindlich. Globaler Umwelt- und Klimaschutz wird nur funktionieren, wenn die Grundbedürfnisse halbwegs befriedigt sind. Wer ums Überleben kämpft, hat andere Sorgen als Flora und Fauna. "Sind nicht Armut und Not die größten Umweltverschmutzer?", fragte schon Indiens damalige Ministerpräsidentin Indira Gandhi, als die Vereinten Nationen 1972 in Stockholm ihre erste Umweltkonferenz abhielten. "Wir wollen die Umwelt keineswegs weiter verschlechtern, doch wir können nicht für einen Moment die grausame Armut einer großen Zahl von Menschen vergessen. Die Umwelt kann unter den Bedingungen der Armut nicht verbessert werden."
Es braucht ein Mindestmaß an materiellen Wohlstand, damit sich eine Gesellschaft für Ökologie interessiert. Empirische Studien kommen zu dem Ergebnis, dass in Schwellenstaaten die Umweltbelastungen zunächst steigen, bis das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einen Pro-Kopf-Wert von etwa 8000 Dollar erreicht. An diesem Punkt setzt ein Bewusstseinswandel ein. Die Menschen haben ihre physiologischen Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Obdach so weit befriedigt, dass sie eine positive Einstellung zum Umweltschutz entwickeln. In China, das Pro-Kopf-BIP liegt kaufkraftbereinigt dort jetzt bei etwa 8400 Dollar, lässt sich dieses Phänomen gut beobachten. De Regierung treibt das Thema Umweltschutz voran. Die Luft in Peking und Schanghai wird klarer. Auf anrührende Weise sind die Menschen bemüht, die Natur in die Städte zurückzuholen.[...]

"Ökofimmel" - Alexander Neubacher