20.07.2013

franklins moral perfection

Benjamin Franklin skizzierte in seiner Autobiografie den berühmten Plan, mit dessen Hilfe er im Laufe von dreizehn Wochen "moralische Perfektion" zu erlangen gedachte. Jede Woche stand im Zeichen einer bestimmten Tugend - Mäßigung, Reinlichkeit, Fleiß und so weiter - und er notierte jeden Verstoß säuberlich in einem Kalender. Franklin war davon überzeugt, dass eine Tugend zur Gewohnheit würde, wenn er sie nur eine Woche durchhielte. Danach könnte er zur nächst
en Tugend übergehen, bis er sich schließlich komplett gewandelt hätte und fortan nur noch gelegentlicher moralischer Instandhaltung bedürfe.




1. Mäßigkeit - Iss nicht bis zum Stumpfsinn, trink nicht bis zur Berauschung.
2. Schweigen - Sprich nur, was anderen oder dir selbst nützen kann; vermeide unbedeutende Unterhaltung.
3. Ordnung - Lass jedes Ding seine Stelle und jeden Teil deines Geschäfts seine Zeit haben. 
4. Entschlossenheit - Nimm dir vor, durchzuführen, was du musst; vollführe unfehlbar, was du dir vornimmst. 
5. Sparsamkeit - Mache keine Ausgabe, als um anderen oder dir selbst Gutes zu tun; das heißt: vergeude nichts. 
6. Fleiß - Verliere keine Zeit; sei immer mit etwas Nützlichem beschäftigt; entsage aller unnützen Tätigkeit. 
7. Aufrichtigkeit - Bediene dich keiner schädlichen Täuschung; denke unschuldig und gerecht, und wenn du sprichst, so sprich danach. 
8. Gerechtigkeit - Schade niemandem, indem du ihm unrecht tust oder die Wohltaten unterlässt, die deine Pflichten sind. 
9. Mäßigung - Vermeide Extreme; hüte dich, Beleidigungen so übel aufzunehmen, wie sie es nach deinem Dafürhalten verdienen. 
10. Reinlichkeit - Dulde keine Unsauberkeit am Körper, an Kleidern oder in der Wohnung. 
11. Gemütsruhe - Beunruhige dich nicht über Kleinigkeiten oder über gewöhnliche oder unvermeidliche Unglücksfälle. 
12. Keuschheit - Übe geschlechtlichen Umgang selten, nur um der Gesundheit oder der Nachkommenschaft willen, niemals bis zur Stumpfheit, Schwäche oder zur Schädigung deines eigenen oder fremden Seelenfriedens oder guten Rufes. 
13. Demut - Ahme Jesus und Sokrates nach. 

10.07.2013

nicht notwendig, glücklich zu sein


Ein wunderbarer Zufall oder vielmehr ein Schicksal, es ist durch Sie vieles in mir entstanden, das ich nie gedacht hatte, und nichts, was ehemals in mir war, hat sich gehemmt und unterdrückt gefühlt; ich gäbe mein Leben darum, Sie zufriedener und glücklicher zu machen, ich weiß auch, dass ich nicht leicht je aufhören kann, in ihr Empfinden und Denken verwebt zu sein, ich fühle noch lebendiger, dass ich Ihnen noch viel sein kann, wenn Sie nur in sich den Glauben an mich erhalten und so bin ich, seit ich Sie kenne, unendlich reiner mit mir selbst abgeschlossener in allen Wünschen und Erinnerungen, oft weniger glücklich, aber doch mehr Eins mit mir und allem, was mich umgibt. Das weniger glücklich muss Sie nicht schmerzen, liebe Freundin. Es gibt leidenschaftliche Augenblicke, von denen Ruhe und Glück fern sind, die aber, wer das wahre Leben versteht, nie aus sich wegwünscht. Es ist nicht notwendig, glücklich zu sein, aber unerlässlich, seine eigentliche, tiefe Bestimmung zu erfüllen; auch der Seidenwurm mag nicht glücklich sein, wenn er sich einspinnt, aber es gibt ein Gefühl, das weit mehr als Glück ist, die Ruhe der Wehmut, und die geht allemal aus der Erfüllung der Bestimmung hervor. Die Bestimmung aber ist in jedem Menschen eine eigene, auch findet man sie nie, wenn man danach sucht; aber in Momenten der Rührung, im Zusammensein mit Gleichgestimmten oder der Einsamkeit mit sich selbst, geht sie hervor wie eine Flamme im Dunkel und wer nicht willkürlich die Augen verschließt, verkennt sie nie. Daran halten auch Sie sich, meine Liebe, wenn Sie sich verlassen fühlen. Eigentlich sind sie es nie.

Wilheilm von Humboldt an Johanna Mothberby, Berlin, den 7.März 1810
Liebesbriefe großer Männer - Sabine Anders und Katharina Maier

09.07.2013

Denn deine Liebe war allem gewachsen

Eben warst du noch, Vera, ich seh dich ein. Ist nicht die Erde noch warm von dir, und die Vögel lassen noch Raum für deine Stimme. Der Tau ist ein anderer, aber die Sterne, sind noch die Sterne deiner Nächte. Oder ist nicht die Welt überhaupt von dir? denn wie oft hast du sie in Brand gesteckt mit deiner Liebe und hast sie lodern sehen und aufbrennen und hast sie heimlich durch eine andere ersetzt, wenn alle schliefen. Du fühltest dich so recht im Einklang mit Gott, wenn du jeden Morgen eine neue Erde von ihm verlangtest, damit doch alle dran kämen, die er gemacht hatte. Es kam dir armsälig vor, sie zu schonen und auszubessern, du verbrauchtest sie und hieltest die Hände hin um immer noch Welt. Denn deine Liebe war allem gewachsen. 
Wie er dies denkt, der Einsame in seiner Nacht, denkt und einsieht, bemerkt er einen Teller mit Früchten auf der Fensterbank. Unwillkürlich greift er einen Apfel heraus und legt ihn vor sich auf den Tisch. Wie steht mein Leben herum um diese Frucht, denkt er. Um alles Fertige steigt das Ungetane und steigert sich.
In dieser lächerlichen Stimmung bemerkte ich sie. Sie stand allein vor einem strahlenden Fenster und betrachtete mich; nicht eigentlich mit den Augen, die ernst und nachdenklich waren, sondern geradezu mit dem Mund, der den offenbar bösen Ausdruck meines Gesichtes ironisch nachahmte. Ich fühlte sofort die ungeduldige Spannung in meinen Zügen und nahm ein gelassenes Gesicht an, worauf ihr Mund natürlich wurde und hochmütig. Dann nach kurzem Bedenken, lächelten wir einander gleichzeitig zu.
Sie erinnerte, wenn man will an ein gewisses Jugendbildnis der schönen Benedicte von Qualen, die in Baggesens Leben eine Rolle spielt. Man konnte die dunkle Stille ihrer Augen nicht sehen ohne die klare Dunkelheit ihrer Stimme zu vermuten. Übrigens war die Flechtung ihres Haars und der Halsausschnitt ihres hellen Kleides so kopenhagisch, daß ich entschlossen war, sie dänisch anzureden.

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge - Rainer Maria Rilke

03.07.2013

"Adieu, Beste, Liebste"


Nur drei Wochen nach seiner Rückkehr aus Italien lernte Goethe seine spätere Frau Christiane Vulpius kennen. Eigentlich suchte sie ihn auf, um ihn um Hilfe für ihren Bruder zu bitten, der keinen Erfolg mit seiner Schriftstellerei hatte. Ein dreivierteljahr blieb ihr Verhältnis geheim. Als Christiane schwanger wurde, holte Goethe sie als Haushälterin in sein Haus. Er heiratete sie erst Jahre später; 1816, Goethe überlebte sie um 16 Jahre. Auf ihrem Grab ließ er diese Inschrift anbringen:

Du versuchst, o Sonne, vergebens,
Durch die düsteren Wolken zu scheinen.
Der ganze Gewinn meines Lebens,
Ist ihren Verlust zu beweinen.

01.07.2013

die das Herz einer Frau zu treffen wissen

Sie wandte sich zu ihm hin. "Mein lieber Freund, für mich ist ein verliebter Mann aus der Zahl der Lebenden ausgestrichen. Er wird idiotisch, und nicht bloß idiotisch, sondern auch gefährlich. Mit Leuten, die wirklich in mich verliebt sind, gebe ich jeden Verkehr auf, denn sie langweilen mich und sind mir auch verdächtig, wie es ein rasender Hund ist, der vielleicht die Tollwut hat. Ich setze sie daher so lange in Quarantäne, bis ihre Krankheit vorrüber ist. Vergessen Sie das nicht. Ich weiß genau, daß bei Ihnen die Liebe nur eine Art von Hunger ist, während sie bei mir eine Art von... von seelischer Vereinigung sein müßte, die es aber leider bei den Menschen nicht gibt. Aber... sehen Sie mich einmal ruhig an..." Sie lächelte nicht mehr. Sie hatte ein ruhiges, kühles Gesicht und sagte, indem sie jedes Wort betonte: "Ich werde nie, nie ihre Geliebte sein, verstehen Sie mich? Es ist deshalb völlig zwecklos, es wäre sogar schädlich für Sie, wenn Sie bei ihrem Verlangen blieben... und jetzt, da... die Operation vollzogen ist, wollen Sie, daß wir Freunde sind, gute Freunde, aber auch wahre Freunde, ohne Hintergedanken?"
Er hatte begriffen, daß jeder Versuch unfruchtbar bleiben müßte vor dieser unerschütterlichen Entscheidung. Sofort faßte er offen seinen Entschluß und entzückt, hier vielleicht eine Freundschaft für seinen Beruf finden zu können, hielt er ihr beide Hände hin. "Ich bin der Ihrige, gnädige Frau, so wie Sie mich haben wollen."
Sie fühlte seine innerliche Aufrichtigkeit an der Stimme und gab ihm ihre Hände.
Er küßte eine nach der anderen und sagte dann aufrichtig, indem er den Kopf erhob: "Himmel, wenn ich eine Frau wie Sie gefunden hätte, mit welchem Glücksgefühl würde ich sie geheiratet haben."
Sie war diesmal gerührt.  Seine Worte liebkosten sie, wie alle Huldigungen, die das Herz einer Frau zu treffen wissen,  ihnen gefallen. Und sie warf ihm einen jener schnellen und dankbaren Blicke zu, durch die ein Mann immer erobert wird.
Dann, als er keinen Übergang fand, um die Unterhaltung wieder aufzunehmen, sagte sie mit weicher Stimme, indem sie einen Finger auf seinen Arm legte: "Ich werde sofort mein Amt als Freundin beginnen. Wissen Sie, mein Lieber, daß sie ungeschickt sind?"
Sie machte eine Pause und fragte: "Darf ich offen sprechen?"
"Ja."
"Ganz und gar?"
"Ja."
"Nun wohl! Besuchen Sie Frau Walter, die sie schätzt und suchen Sie ihr zu gefallen. Bei ihr können Sie auch Ihre Komplimente anbringen, obgleich sie anständig ist - verstehen Sie wohl? unbedingt anständig! Ich weiß, daß Sie auf der Zeitung eine untergeordnete Stellung einnehmen. Aber fürchten Sie nichts, man empfängt dort alle Redakteure mit dem gleichen Wohlwollen. Gehen Sie hin, glauben Sie mir."
Er sagte lächelnd: "ich danke Ihnen, Sie sind ein Engel, ein Schutzengel." Dann sprachen sie über andere Dinge.
Er blieb lange, er wollte ihr zeigen, daß es ihm Vergnügen mache, bei ihr zu sein und als er sie verließ, fragte er noch:" Also ist es abgemacht, wir sind Freunde?"
"Es ist abgemacht."
Und da er sich des Eindrucks, den er auf sie gemacht hatte, wohl bewußt war, fügte er noch hinzu:
"Wenn sie jemals Witwe werden, lasse ich mich vormerken."
Dann aber ging er schnell hinaus, damit sie nicht erst Zeit fand, zornig zu werden.

Belami - Guy de Maupassant