28.02.2009

Achso

Lieber Gatte,

ich schreibe Dir diesen Brief, um dir mitzuteilen, dass ich Dich jetzt entgültig verlasse. Ich war Dir sieben Jahre lang eine gute Frau und habe nie etwas davon gehabt. Die letzten Wochen waren die Hölle.

Heute hat mich nun Dein Chef angerufen, um mir zu sagen, dass Du heute gekündigt hast - das war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte.

Letzte Woche bist Du heimgekommen und hast nicht einmal bemerkt, dass ich beim Friseur und bei der Maniküre war, Dein Lieblingsessen gekocht hatte und sogar ein nagelneues Negligee anhatte. Du bist heimgekommen, hast alles in zwei Minuten herunter geschlungen und bist sofort schlafen gegangen, nachdem Du Dir noch das Spiel angeschaut hast. Du sagst mir nicht mehr, dass Du mich liebst, Du berührst mich nicht mehr, gar nichts tust Du. Entweder gehst Du fremd, oder Du liebst mich nicht mehr, wie auch immer, ich bin jetzt weg.

P.S.: Falls Du mich suchen solltest, lass es besser bleiben. Dein BRUDER und ich ziehen zusammen nach Bielefeld. Schönes Leben noch!

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DIE ANTWORT
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Liebe Exfrau,

Nichts hätte mir mehr den Tag versüßen können, wie dein Brief. Es stimmt, wir sind nun schon seit sieben Jahren verheiratet, obwohl du ja nun wirklich alles andere als eine gute Frau warst. Ich schau' mir so viel Sport im Fernsehen an, um dein ständiges Gemotze auszublenden. Schade, dass es nicht klappt. Ich habe sehr wohl gemerkt, dass du dir letzte Woche alle Haare hast abschneiden lassen; das Erste , was mir in den Sinn kam war: "Du schaust ja aus wie ein Kerl!"

Meine Mutter hat mich dazu erzogen, lieber gar nichts zu sagen, wenn man nichts Schmeichelhaftes sagen kann. Als du "mein" Lieblingsessen gekocht hast, musst du mich wohl mit meinem BRUDER verwechselt haben? Ich esse nämlich seit sieben Jahren kein Schweinefleisch mehr. Ich bin schlafen gegangen, als du das Negligee anhattest, weil das Preisschild noch dranhing. Ich hoffte, das es nur zufall war, dass mein Bruder gerade 50,- Euro von mir geborgt hatte und das Ding 49,99 gekostet hat.

Trotz alledem habe ich dich aber immer noch geliebt und gedacht, dass sich alles zum Guten wenden würde. Als ich herausfand, dass ich 10 Millionen im Lotto gewonnen habe, habe ich gekündigt und uns zwei Tickets nach Jamaika gekauft. Aber als ich zuhause ankam warst du schon weg. Warscheinlich geschieht alles aus einem bestimmten Grund. Ich hoffe für dich, dass du nun das ausgefüllte Leben lebst, das du immer haben wolltest. Mein Anwalt meint, dass du nach dem Brief, den du geschrieben hast, keinen Cent von mir siehst. Schau halt, wo du bleibst.

P.S.: Ich weiß ja nicht, ob du's wusstest, aber mein Bruder Carl war früher eine Carla. Ich hoffe das macht dir nichts aus.

Gezeichnet, Dein Ex
(Schweinereich und frei)

27.02.2009

Don Quijote


"Das ist eben der Punkt", antwortete Don Quijote, "und darin zeigt sich die ausgesuchte Galanterie meines Vorhabens. Daß ein fahrender Ritter mit Grund verrückt wird, darin ist nichts Freiwilliges, dafür gibt's keinen Dank; die rechte Probe ist ohne Anlaß wahnsinnig zu sein, damit die Geliebte denken muß: wenn das am grünen Holze geschieht, was soll's erst am dürren werden! Außerdem habe ich dazu Veranlassung genug in der langen Abwesenheit, die ich mir von meiner ewig mir gebietenden Herrin Dulciena von Toboso auferlegt habe. Hast du ja doch von dem Ambrosio, dem Schäfer von neulich, gehört: wer abwesend ist, erleidet und befürchtet jegliches Übel. Sonach, Freund Sancho, verwende keine Zeit darauf, daß du mir anratest, von einer ausbündigen, so glücklich erdachten, so unerhörten Nachahmung abzustehen. Toll bin ich und toll bleib ich, bis du mit der Antwort auf einen Brief zurückkommst, den ich meiner Herrin Dulciena durch dich zu übersenden gedenke; und wenn sie so ausfällt, wie es meine Treue verdient, dann wird es mit meinem Wahnsinn und meiner Buße zu Ende sein; und wenn sie im entgegengesetzten Sinne ausfällt, dann werde ich im Ernste toll werden und als ein solcher alsdann nichts mehr empfinden. Mithin, auf welche Weise sie auch immer antworten mag, entrinne ich den Seelenkämpfen und Nöten, worin du mich zurücklässt, und ich werde entweder bei Verstande das Glück genießen, das du mir bringst, oder in der Verrücktheit das Unheil nicht empinden, das du mir verkündest."

"Don Quijote von Miguel de Cervantes

24.02.2009

ein melancholisches Genie

Jerry redete und ich hörte zu. Allmählich erfuhr ich immer mehr über sein Leben während er, wie man gefahrlos sagen kann, immer weniger über meines erfuhr. Dank meiner angeborenen Zurückhaltung hatte er mit meiner Persönlichkeit freie Hand. Er konnte aus mir so ziemlich alles machen, was er wollte, und bald wurde mir schmerzlich klar, dass er in mir hauptsächlich ein niedliches Tier sah, närrisch und ein bisschen dumm, so was wie einen sehr kleinen Hund mit vorstehenden Zähnen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung von meinem Chrakater, davon, dass ich eigentlich äußerst zynisch war, einigermaßen niederträchtig und ein melancholisches Genie oder dass ich mehr Bücher gelesen hatte als er. Ich liebte Jerry, befürchtete aber, dass seine Liebe nicht mir galt, sonder einem Fantasiegebilde. Mit der Liebe zu Fantasiegebilden kannte ich mich aus. Und in meinem Herzen wusste ich stets, dass er bei unseren gemeinsamen Abenden, wenn er trank und erzählte, in Wirklichkeit Selbstgespräche führte.
Höre ich da ein Glucksen? Sie glauben wohl, Sie hätten mich durchschaut. Ich weiß, ich weiß, was ich weiter vorne gesagt habe - wo ich meine Liebe zu Rissen, mein fast pathologisches Bedürfnis nach Verstecken, meine Vorliebe für Masken eingestand, bezeugte und mit meiner perversen Art sogar damit prahlte. Warum also, fragen Sie, beschwere ich ,ich jetzt, wo mir eine neue Gelegenheit zum Verbergen geboten wird, die goldene Chance schlechthin, mich in den undurchdringlichen Deckmantel des Kuscheltiers zu hüllen?
Tja, ich will es Ihnen verraten: [...]

"Firmin - Ein Rattenleben" von Sam Savage

22.02.2009

Zeit bedeutet nichts

"Das Zimmer war weiß gestrichen und hell erleuchtet von der Morgensonne. Am Fenster saß mit dem Rücken zu mir eine Frau, sie trug eine korallenrote Strickjacke, ihre langen weißen Haare hingen ihr lose über den Rücken. Auf einem Tisch neben ihr stand eine Tasse Tee. Warscheinlich machte ich ein Geräusch oder sie spürte mich hinter sich, jedenfalls drehte sie sich zu mir um und sah mich, und ich sah sie und das warst du, Clare, das warst du als alte Frau, in der Zukunft. Es war wunderschön, Clare, unbeschreiblich schön, so gleichsam aus dem Tod zu kommen und dich zu umarmen und die vielen Jahre deutlich in deinem Gesicht zu sehen. Ich will dir nicht mehr erzählen, damit du es dir vorstellen, damit du es spontan erleben kannst, wenn die Zeit kommt und sie wird kommen, ganz bestimmt. Wir werden uns wiedersehen, Clare. Bis dahin lebe dein Leben, sei in der Welt, die so schön ist.
Nun ist es dunkel und ich bin sehr müde. Ich liebe dich, auf immer und ewig. Zeit bedeutet nichts."

"Die Frau des Zeitreisenden" von Audrey Niffenegger

sterben

Am 11. November 1997 entschied Veronika, jetzt sei es - endlich - an der Zeit, sich das Leben zu nehmen. Sie machte ihr Zimmer sauber, das sie in einem Kloster gemietet hatte, stellte die Heizung ab, putzte die Zähne und legte sich ins Bett.[...]
Veronika hatte fast sechs Monate gebraucht, um sich die Tabletten zu besorgen. Sie hatte schon geglaubt, es nie zu schaffen, schon überlegt, sich die Pulsadern aufzuschneiden.

"Veronika beschließt zu sterben" von Paulo Coelho

Sie protestierte allerdings nicht

"Eleanor also - die damals noch nicht trank, bloß sehr schüchtern und nervös war - hatte gerade das Haus in Lacoste gekauft und sie beschwerte sich bei David, was für eine furchtbare Verschwendung es sei, dass die einfach vom Baum fielen und auf der Terrasse verrotteten. Am nächsten Tag, als wir alle draußen saßen, fing sie wieder davon an. Ich sah, wie Davids Gesicht kalt wurde. Er streckte die Unterlippe vor - das ist immer ein schlechtes Zeichen, halb brutal und halb eingeschnappt - und sagte: Kommt mit. Es kam mir vor, als müssten wir dem Schuldirektor in sein Büro folgen. Er marschierte mit großen Schritten auf den Feigenbaum zu, Eleanor und ich stolperten hinterher. Als wir hinkamen, sah man überall auf den Steinplatten Feigen verteilt. Manche waren schon alt und zerquetscht, andere waren gerade aufgebrochen und Wespen tanzten um die Wunde oder knabberten am klebrigen rotweißen Fruchtfleisch. Es war ein riesengroßer Bau, und es lagen viele Feigen am Boden. Und dann tat David etwas höchst Erstaunliches. Er befahl Eleanor, such auf alle viere niederzulassen und alle Feigen von der Terrasse zu essen."
"Was, vor deinen Augen?", fragte Bridget mit großen Augen.
"Ganz recht. Eleanor sah auch ziemlich verwirrt aus und - verraten ist wohl das richtige Wort. Sie protestierte allerdings nicht, sondern machte sich an ihre unappetitliche Aufgabe. Und David erlaubte ihr nicht eine einzige auszulassen. Einmal sah sie flehentlich zu ihm auf und sagte: Jetzt habe ich genug gegessen, David, aber er stellte ihr den Fuß in den Nacken und antwortete: Schön ausessen. Wir wollen doch nicht, dass etwas verkommt oder?"
"Ab-artig", sagte Bridget.

"Schöne Verhältnisse" von Edward St Aubyn

Seien Sie still!

"Das haben Sie ja fein gemacht", sagte er mit tonloser Stimme. "Er hätte Sie auch verlassen."
"Seien Sie still", sagte sie.
"Natürlich ist es ein Unfall", sagte er. "Das weiß ich"
"Seine Sie still", sagte sie.
"Machen Sie sich kene Sorgen., sagte er. "Es wird ein gewisses Maß an Unannehmlichkeiten geben, aber ich werde ein paar Aufnahmen machen lasse, die beim Verhör nützlich sein werden. Dann haben wir ja auch noch die Zeugenaussagen der Gewehr und des Fahrers. Es passiert Ihnen nicht."
"Seien Sie still", sagte sie.
"Gibt eine verdammte Menge zu erledigen", sagte er.
"Ich muß einen Lastwagen zum See schicken, um nach einem Flugzeug zu funken, das uns drei nach Nairobi bringen kann. Warum haben Sie ihn nicht vergiftet? So macht man's in England."
"Seien Sie still. Seien Sie still. Seien Sie still!", schrie die Frau.
Wilson sah sie mit seinen flachen blauen Augen an.
"Jetzt bin ich fertig", sagte er. "Ich war ein bißchen ärgerlich. Ich fing gerade an, Ihren Mann gern zu haben."
"Ach bitte, seien Sie still.", sagte sie. "Bitte, bitte, seien Sie still."
"So ist's besser", sagte Wilson. "Bitte ist viel besser. Jetzt werde ich still sein."

"Schnee auf dem Kilimandscharo" von Ernest Hemingway

17.02.2009

zeitlose Vaginas


[...] Ich musste einfach nur meine Fingerspitzen aneinanderlegen und an einige Frauen denken, die ich in meinem Leben gekannt hatte - Frauen mit einer Ausstrahlung wie Jeanne Moreau, Monica Vitti und Anouk Aimêe... Frauen, bei denen nicht nur die Gesichter, sondern auch die Geschlechtsteile beseelt waren mit Eigenleben, Charakter, Charme und Witz... Frauen mit Vulkanvaginas - wie die Vagina von Tessa, die enger als die Deadline der Bild-Zeitung war und beim Sex regelmäßig zu reißen drohte. Oder die Vagina von Katrina, die sich an meinen Schwanz festkrallte wie eine Trapperfalle. Oder die von Eleonarra, die so ungewöhnlich gekrümmt, gefurcht und geriffelt war, dass sie wie Lenins Hirn der Nachwelt in einem Ehrentempel zugänglich gemacht hätte werden sollen. Kurz: Diese Frauen hatten surreale, unvergessene, zeitlose Vaginas - Vaginas, die die Pforte waren zu sexuellen Galaxien (hier spiele man bitte die Raumschiff-Enterprise-Titelmelodie ein!), die nie zuvor ein Mensch betreten hatte. Und selbstverständlich prägten diese Vaginas ihre Besitzerinnen. Es waren reife, schöne, mutige Frauen, geistig klar, frei und rebellisch - [...]


Ich redigierte weiter den Text, während Ilona im Internet herumklickte und dem Drucker Seiten entnahm. "Hör dir das mal an!", sagte ich kopfschüttelnd. "Im noblen Golden-Ginko-Bordell gilt der Grundsatz: Wer dreimal spritzt, bekommt sein Geld zurück. Herr im Himmel, dieser Mirko lügt, dass sich die Thunfisch-Makis biegen." Ich makiere die Passage, zögerte einen Moment - und strich sie, schweren Herzens, zugegeben, denn in ihr schwang auch ein verlockender Utopismus mit, den man sonst nur bei Frühsozialisten wie Proudhon oder Fourier fand.

"Der König von Mexico" von Stefan Wimmer

14.02.2009

du und ich

Wenn wir uns öffnen
du dich mir und ich dir mich,
wenn wir versinken
in mich du und ich in dich,
wenn wir vergehen
du mir in und dir in ich

Dann
bin ich ich
und bist du du.

"Der Vorleser" von Berhard Schlink