10.09.2014

der Wind frech wie ein Freier dicht an ihre Wange

»Hey, was liest du?« Als ich nach vorne sah wusste ich, dass ich nie müde sein werde sie je anzusehen.
»Hey, Krieg und Frieden, wenn dir das was sagt.«, antwortete ich und sah ein wages Lächeln durch den leichtroten Lipgloss. Ihr Hals und ihre Brüste waren durch einen riesigen braunen Schal verdeckt und ein grün-blaues Blumenhemd, dass sie über einem weißen Top trug, guckte unter dem beigefarbenen Mantel hervor. Was heller schien, ob es die untergehende Sonne war, die ihre Strahlen quer durch den Park warf, oder die rote Mähne von Vera, die ihre blauen Augen umwarben und sich auf ihre Schultern niederlegte, konnte ich in dem Moment nicht sagen.
»Was machst du so spät noch hier, ich hätte dich eher erwartet?«, fragte ich neugierig und legte das Lesezeichen in das Buch.
»Ich war noch in der Bibliothek und musste was für die Uni machen, aber ich habe nicht erwartet, dass du hier her kommst.«, sagte sie und begann sich eine Zigaretten anzuzünden. Ich stand auf und folgte ihr in die Richtung der kleinen Brücke.
»Wie lange sitzt du dort schon?«, fragte sie, ohne mich dabei anzusehen.
»Fünf Tage in etwa, aber manchmal bin ich auch durch den Park gelaufen.«, antwortete ich und musste ihrem skeptischen Blick aus dem Seitenwinkel standhalten, den sie mir beim herauspusten des Zigarettenrauchs zuwarf.
»Was, fünf Tage? Du spinnst ja, warum schreibst du mich nicht einfach an?«, fragte sie mit drängender Stimme und blickt wieder nach vorne.
»Du stellst dir das so einfach vor.«, sagte ich beschwichtigend, als wir den kleinen Hang zur Brücke hinaufgingen. Die Luft wurde kühler, wodurch der Rauch vor meinen Augen scharfe Konturen entwickelte.
»Und fünf Tage dort sitzen ist einfacher oder wie.« fragte sie in einem sarkastischen aber mildem Ton und stoppte auf dem Höhepunkt der Brücke, sah mich kurz an und nahm einen weiteren Zug von ihrer Zigaretten mit einem schweifenden Blick in den Sonnenuntergang. Ich tat ihr gleich und lehnte mich auf die steinere Brüstung der Brücke mit dem Rücken zu ihr.
»Warum bist du hier?«, fragte sie, als der ihr Zigarettenrauch mich von hinten umhüllte.
»Weißt du noch, als du sagtest wie schön der Sonnenuntergang sei und ich sagte, das käme wegen dem Dreck. Ich weiß nun warum du gelacht hast.«, sagte ich und wie eine Antwort umhüllte mich abermals ihr ausgeatmeter Zigarettenduft.
Als ich mich umgedreht hatte, strömte mir ihr rotes Haar entgegen, sie hielt ihren linken Arm mit der Zigarette auf dem rechten gestützt und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als ich auf sie zu ging. »Dass du dich an sowas noch erinnerst.«, antwortete sie.
»An jede Einzelheit erinnere ich mich.«, begegente ich mit einem wachen Blick in ihre ausdruckblauen Augen, die sich plötzlich von ihrem zusammengekniffenen Zustand lösten und sich zunehmend öffneten, ungeachtet der blendenen Sonne in meinem Rücken.
Als ich vor ihr stand, holte ich das Messer raus, dass ich zuvor gekauft hatte. Es war so wenig stumpf wie jedes Eheleben, denn als ich es durch meine Hand gleiten ließ, malte das kalte Metall eine Kerbe in die Epidermis, doch verletze sie nicht. Eine kleine Druckstelle blieb und verschwand in wenigen Sekunden. Ich zeigte ihr, wie die Klinge sich an meine Hand schmiegt. Sie sah gebannt auf meine Hand und wirkte wie erstarrt.
»Vertraust du mir.«
Ihr Gesicht ziemte sich jedem Mienenspiel, einzig den letzten angehaltenen Zigarettenhauch atmete sie schließlich in gespannter Erwartung aus.
»Schließ die Augen.«, befahl ich.
Ich griff nach der Hand mit der Zigarette, die sie am Mund hielt, streckte sie aus und drehte die Handinnenfläche nach oben, wobei sie zwischen Zeige- und Mittelfinger die Zigarette hielt. Ich öffnete die einzelnen Finger mit größter Sorgfalt.
»Ich will, dass du dich konzentrierst. Dein ganzes Gefühl liegt in dieser Hand. Du spürst die eiskalte Luft, die deine Finger zerreißt. Du spürst meine Hand, dich wärmend.«, sagte ich, während ich ihre Hand von unten hielt.
Mit der anderen setzte ich die Klinge sanft an ihrem Handgelenk an und ließ sie über die Handinnenfläche gleiten.
Ihr lipglossumzogener Mund öffnete sich leicht und ihr warmer Atem entrann aus der zitternden Unterlippe, die nicht unterscheiden konnte, ob es die  Angst oder Kälte war, die es veranlasste sich willkürlich zu bewegen.
»Das was du jetzt spürst bin ich. Der Schmerz der durch dich zieht.« Die Klinge nahm ihren Lauf, wanderte über ihren Mittelfinger zu ihrer Fingerspitze.
»Ich werde immer zu dir stehen und dich.. unaufhörlich lieben«
Die Spitze der Klinge glitt von ihrer Fingerspitze und sie ließ die Zigarette zu Boden fallen. Ich küsste ihre Handinnenfläche, als sie wieder die Augen öffnete, die mich starr ansahen und noch immer hielt ich ihre Hand und spürte an meinen Fingern an ihrem Handgelenk den schnellen Puls, während ich die Klinge mit der anderen Hand einfuhr und ihr ein warmes Lächeln zuwarf. Während der eiskalte Wind behaglich an meinen Fingern nagte, vergingen einige Sekunden Stille, bis sie sich mir näherte und mir ihre nach Erdbeer schmeckenden Lippen auf den Mund drückte.
»Lass uns gehen.«, flüstere sie schließlich mit dem selben wachen Blick, den ich zuvor hatte.
Sie wohnte  nicht weit vom Park, vielleicht ein zehnminütiger Fußmarsch, den wir wortlos hinter uns ließen. Immer ging ich hinter ihr, um den wagen Duft ihrer Weiblichkeit und das dezente Parfüm zu spüren und manchmal drehte sie sich um und einmal, kurz vor ihrer Haustüre, lehnte sich der Wind frech wie ein Freier dicht an ihre Wange, presste ihren beigefarbenen Mantel an ihre Beine, sodass ihr Haar flog, doch sie lachte ihn nur frech aus während der Drehung und warf mir einen flüchtigen Blick zu. Da fragte ich mich ernsthaft, wenn nichtmal der Wind ihr etwas anhaben konnte, wie konnte ich mir anmaßen auf sie zu bestehen. 

"Verling" - Talen D