28.02.2013

Der Augsburger Kreidekreis



»Es ist nicht festgestellt worden, wer „die rechte Mutter ist«, sagte er. »Das Kind ist zu bedauern. Man hat schon gehört, dass die Väter sich oft drücken und nicht die Väter sein wollen, die Schufte, aber hier melden sich gleich zwei Mütter. Der Gerichtshof ist zu der Überzeugung gelangt, dass beide wie gedruckt lügen. Nun ist aber, wie gesagt, auch noch das Kind zu bedenken, das eine Mutter haben muss. Man muss also, ohne auf bloßes Geschwätz einzugehen, feststellen, wer die rechte Mutter des Kindes ist.« Und mit ärgerlicher Stimme rief er den Gerichtsdiener und befahl ihm, eine Kreide zu holen.

Der Gerichtsdiener ging und brachte ein Stück Kreide.
»Zieh mit der Kreide da auf dem Fußboden einen Kreis, in dem drei Personen stehen können« ‚ wies ihn der Richter an.
Der Gerichtsdiener kniete nieder und zog mit der Kreide den gewünschten Kreis.
»Jetzt bring das Kind«‚ befahl der Richter.
Das Kind wurde hereingebracht. Es fing wieder an zu heulen und wollte zu Anna. Der alte Dollinger kümmerte sich nicht um das Geplärr und hielt seine Ansprache nur in etwas lauterem Ton.
»Diese Probe, die jetzt vorgenommen werden wird«‚ verkündete er,»habe ich in einem alten Buch gefunden, und sie gilt als recht gut. Der einfache Grundgedanke der Probe mit dem Kreidekreis ist, dass die echte Mutter an ihrer Liebe zum Kind erkannt wird. Also muss die Stärke dieser Liebe erprobt werden. Gerichtsdiener, stell das Kind in diesen Kreidekreis.« Der
Gerichtsdiener nahm das plärrende Kind von der Hand der Amme und führte es in den Kreis. Der Richter fuhr fort, sich an Frau Zingli und Anna wendend
»Stellt auch ihr euch in den Kreidekreis, fasst jede eine Hand des Kindes, und wenn ich "los" sage, dann bemüht euch, das Kind aus dem Kreis zu ziehen. Die von euch die stärkere Liebe hat, wird auch mit der größeren Kraft ziehen und so das Kind auf ihre Seite bringen. Im Saal war es unruhig geworden. Die Zuschauer stellten sich auf die Fußspitzen und stritten sich mit den vor ihnen Stehenden.
Es wurde aber totenstill, als die beiden Frauen in den Kreis traten und jede eine Hand des Kindes fasste. Auch das Kind war verstummt, als ahnte es, um was es ginge. Es hielt sein tränenüberströmtes Gesichtchen zu Anna emporgewendet. Dann kommandierte der Richter »Los ! «. Und mit einem einzigen heftigen Ruck riss Frau Zingli das Kind aus dem Kreidekreis. Verstört und ungläubig sah Anna ihm nach. Aus Furcht, es könne Schaden erleiden, wenn es an beiden Armchen zugleich in zwei Richtungen gezogen würde, hatte sie es sogleich losgelassen.
Der alte Dollinger stand auf.
»Und somit wissen wir«‚ sagte er laut, »wer die rechte Mutter ist. Nehmt der Schlampe das Kind weg. Sie würde es kalten Herzens in Stücke reißen.« Und er nickte Anna zu und ging schnell aus dem Saal, zu seinem Frühstück.

"Der Augsburger Kreidekreis" - Bertolt Brecht
"Die besten deutschen Erzählungen" - ausgesucht von Marcel Reich-Ranicki

04.02.2013

He'll lose it


The major came very regularly to the hospital. I do not think he ever missed a day, although I am sure he did not believe in the machines. There was a time when none of us believed in the machines and one day the major said it was all nonsense. The machines were new then and it was we who were to prove them. I had not learned my grammar and he said I was a stupid impossible disgrace and he was a fool to have bothered with me. He was a small man and sat straight up in his chair with his right hand thrust into the machine and looked straight ahead at the wall while the straps thumped up and down with his fingers in them.
"What will you do when the war is over, if it is over?" he asked me. "Spreak grammatically!"
"I will go to the States."
"Are you married?"
"No, but i hope to be."
"The more of a fool you are," he said. He seemed very angry. "A man must not marry."
"Why, Signor Maggior?"
"Don' call me Signor Maggiore."
"Why must not a man marry?"
"He cannot marry. He cannot marry", he said angrily. "If he is to lose everything, he should not place himself in a position to lose that. He should not place himself in a position to lose. He should find things he cannot lose."
"He spoke very angrily and bitterly, and looked straight ahead while he talked.
"But why should he necessarily lose it?"
"He'll lose it", the major said. He was looking at the wall. Then he looked down at the machine and jerked his little hand out from between the straps and slapped it hard against his thigh. "He'll lose it.", he almost shouted."Don't argue with me!"

Men without woman - Ernest Hemingway