06.04.2013

Ein Mann der schläft


Dies ist dein Leben. Dies gehört dir.  Du kannst eine genaue Inventur deines mageren Reichtums machen, die präzise Bilanz deines ersten Vierteljahrhunderts. Du bist fünfundzwanzig Jahre alt und hast neunundzwanzig Zähne, drei Hemden, und acht Socken, einige Bücher, die du nicht mehr liest, einige Schallplatten, die du nicht mehr hörst. Du hast kaum gelebt und doch ist alles schon gesagt, schon vorbei. Die Rollen sind verteilt, die Etikette liegen bereit: vom Topf deiner frühen Kindheit bis zum Rollstuhl deiner alten Tagen stehen alte Sitze da und warten, bis sie dran sind. Deine Abenteuer sind so genau beschrieben, dass der gewaltigste Aufruhr niemanden mit der Wimper zucken ließe. Selbst wenn du auf die Straße läufst und den Leuten die Hüte herunter schlägst, wenn du deinen Kopf mit Kehricht bedeckst, barfuß gehst, Manifeste veröffentlichst, mit dem Revolver auf irgendeinen Usurpator schießt, es wird sich nicht daran ändern: dein Bett im Schlafsaal des Altersheims ist bereits gerichtet. Du wirst dem Teufel nicht deine Seele verkaufen, du wirst dich nicht mit Sandalen an den Füßen in den Ätna stürzen, du wirst nicht das siebte Weltwunder zerstören. Alles ist schon für deinen Tod bereitet: die Kanonenkugel, die dich dahinraffen wird, ist schon seit langem geschmolzen, die Klageweiber, die deinem Sarg folgen werden, sind schon bestimmt.

Warum solltest du auf die Gipfel der höchsten Berge steigen, wenn du nachher doch wieder herunter musst und wenn du dann wieder unten bist, wie schaffst du es, dass du nicht dein ganzes Leben lang davon erzählst, wie du es angestellt hast, um hinaufzuklettern? Warum solltest du so tun, als lebtest du? Warum solltest du weitermachen? Weißt du denn nicht schon alles, was dir zustoßen wird? Bist du nicht schon alles gewesen, was du sein solltest: der würdige Sohn deines Vaters und deiner Mutter, der tapfere kleine Pfadfinder, der gute Schüler, der mehr hätte leisten können, der Jugendfreund, der entfernte Vetter, der schöne Soldat, der arme junge Mann? Einige Anstrengungen, nicht einmal einige Anstrengungen, nur noch einige Jahre und du wirst die mittlere Führungskraft sein, der liebe Kollege. Ein guter Ehemann, ein guter Vater, ein guter Staatsbürger. Ein alter Kämpfer. Nach und nach wirst du die Sprossen des gesellschaftlichen Erfolgs erklimmen..
Nein. Du ziehst es vor, das fehlende Einzelteil des Puzzles zu sein. Du hälst dich raus. Du lässt dich vom Glück nicht anlächeln und setzt nicht alles auf eine Karte. Du spannst den Pflug vor die Ochsen, du wirfst die Flinte ins Korn, du verkaufst die Haut des Bären, den du nicht hast, du isst deinen Weizen am Halm, du trinkst bis zur Neige, du legst die Schlüssel unter die Tür, du gehst, ohne dich umzudrehen. 

Ein Mann der schläft - Georges Perec

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