25.01.2013

Irgendwann wird es sonst ungesund

"Irgendwann wird es sonst ungesund. Und du willst ja nicht, dass wir den Notarzt rufen müssen, der die Tür aufhebelt und dann bescheuert in deinem Zimmer steht, obwohl es dir doch blendend geht und du sicher irgendwann von alleine herausgekommen wärst." Sie hält inne, Oskar gibt einen Ton von sich, als wäre ein Krampf in ihn gefahren." "Vielleicht ist es jetzt so weit. Ja, ich denke, Junge, dass es so weit ist. - Komm, es ist jetzt schon die Geschichte deines Lebens. Ich meine, er hat sich denn derart bewiesen, er hat etwas so Radikales durchgezogen!" Sie lauscht wieder für eine Weile. "Jetzt komm, dreh den Schlüssel um. Ja? Dreh ihn um, komm raus, lass dich feiern. Oskar ist auch da. Du hast nichts zu befürchten, keine Strafe, nein. Ja? Scheiße. Till. Till?" Sie klopft erst leicht, dann immer fester an die Tür. "Till? Till, du willst doch nicht, dass es so endet? Wir sind immer noch stolz auf dich. Aber jetzt komm wirklich raus. Ja? Till. Jetzt komm endlich aus diesem verdammten Scheißzimmer raus. Hast du mich gehört?! Verdammte Scheiße, der Spaß ist jetzt echt vorbei. Till? TILL! KOMM ENDLICH AUS DIESEM VERDAMMTEN LOCH RAUS!" Sie wendet sich erschöpft ab, starrt lange Zeit auf ihre zitternden Hände.
Oskar ist über ihr erschienen, sie schaut ihn von unten nach oben an, ihre Augen glasig. Oskar trägt jetzt Straßenschuhe.
"Was hast du vor?", flüstert sie schwach.
"Ich gehe in den Keller."
"In den Keller?"
"Ich stelle ihm die Heizung ab."
"Es ist Oktober."
"Es wird noch früh genug kalt werden."
"Weißt du überhaupt, wie das geht?"
"Das werde ich schon herausfinden."
Oskar schaltet die Lichter hinter sich aus, als er die Tür zum Treppenhaus aufstößt. Karola bleibt im dunklen Gang zurück, mit dem Rücken gegen Tills Zimmertür gelehnt, in der Hand eine Zigarette. Nur aus dem Zimmer der Schwester fällt noch ein schmaler Streifen Licht in den Gang. Karola spielt gedankenverloren mit der Zigarette, lässt sie von Finger zu Fingern wandern. In einem Ruck wird die Tür zum Zimmer der Schwester zugezogen. Dunkelheit.

"Hikikomori" - Kevin Kuhn

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