30.06.2020

die Abgründe des Erdballs

ANFANGS konnte ich nichts sehen. Meine des Lichts entwöhnten Augen schlossen sich unverzüglich. Als ich sie wieder zu öffnen vermochte, war ich noch mehr bestürzt als erstaunt. »Das Meer!« rief ich aus. »Ja, erwiderte mein Oheim, das Meer Lidenbrock, und ich glaube gern, kein Seefahrer wird mir die Ehre der Entdeckung streitig machen, und das Recht, ihm meinen Namen beizulegen.«
Eine große Wasserfläche, der Anfang eines See's oder Meeres, breitete sich vor unsern Blicken bis über die Grenzen des Gesichtskreises aus. Das buchtenreiche Ufer bot den letzten Wellenschlägen einen feinen Sand dar voll kleiner Muscheln, welche den ersten Wesen der Schöpfung zur Behausung gedient hatten.



Die Wellen brachen sich daran mit dem lauten Gemurmel, welches den umschlossenen Räumen eigentümlich ist. Wir waren in einer enormen Höhle, in Wirklichkeit doch im Gefängnis. Ihre Breite konnte man nicht beurteilen, weil das Gestade unabsehbar sich erweiterte, und auch ihre Länge nicht, weil der Blick bald durch eine etwas unbestimmte Linie des Horizonts aufgehalten war. Ihre Höhe musste mehr als einige Meilen betragen. Wo dies Gewölbe sich auf seine granitenen Strebemauern stützte, konnte das Auge nichts wahrnehmen; aber es hing manches Gewölk in der Atmosphäre, dessen Höhe auf zweitausend Klaftern zu schätzen war, eine Höhe, welche die der Erdendünste übertraf und ohne Zweifel der betrechtlichen Dichtigkeit der Luft zuzuschreiben ist.

Der Ausdruck »Höhle« ist offenbar nicht passend, um diesen unermesslichen Raum zu bezeichnen. Aber wer sich in die Abgründe des Erdballs hinabwagt, für den reichen die Worte der menschlichen Sprache nicht mehr aus!

Die Reise zum Mittelpunkt der Erde - Jules Verne

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